Ich dachte immer progressiv bedeutet unter anderem, Daten und Erkenntnisse zu nutzen, zu analysieren und dann unter Abwägung bestimmter sozialer Kommenten eine Entscheidung zu treffen.
Da lag ich wohl falsch. So zeigt sich empirisch, dass soziale Ungleichheit die Lebenserwartung reduziert, die Bildung der breiten Bevölkerung behindert und somit auch den ökonomischen Fortschritt. Daher ist progressive Politik in meinen Augen soziale Ungleichheit zu reduzieren, da es Vorteile für die Mehrheit bringt und nur die Minderheit der Starken etwas schwächt. Warum dieser Gedanke. Es geht um einen länglichen Text mit einem Haufen Zitate von Albrecht Müller. Es gab Proteste gegen die Corona Maßnahmen. Dabei laufen jede Menge Rechtskonservative und eben auch Linke mit. Daher findet Müller man solle nicht alle über den gleichen Kam scheren, dies spalte die Linken. Soweit so klar. Der Punkt ist und der wird von Müller quasi nicht wirklich adressiert, dass die Behauptung dort marschieren Verschwörungstheoretiker richtig ist. Sie glauben an einer Verschwörung gegen sie.
Ein Uwe Thomas den nichts gesundheitswissenschaftliche qualifiziert meint man dürfe Wodarg nicht so angehen und ruft gegen Lars Klingbeil zum Shitstorm auf.
Dabei meint er Wodarg wäre qualifizierter als Klingbeil. Das mag auf den ersten Blick so sein. Wodarg hat keinen Kommentar mit Substanz verbreitet. Er behauptet immer noch die Coronatests funktionieren nicht (ist widerlegt), die Lethalität von COVID-19 sei geringt (wo kommen die steigenden Totenzahlen her), das teilweise verwendete Medikament sei schädlich (ein alter Hut), usw.
Was Uwe Thomas und Albrecht Müller verlangen ist, dass man nicht auf Wissenschaftler die führend in ihrem Feld sind, nachweislich ihre Meinung an neue Erkenntnisse angepasst haben zu hören, bzw. sich an ihren zu orientieren. Stattdessen solle man auch Menschen die weder in dem Feld arbeiten, forschen und nachweislich Fakten und Erkenntnisse auslassen gleichwertig neben eben jene Forscher stellen.
Das sind die gleichen progressiven die sich über Klimawandelleugner echauffieren (wie kann man diese Leute gleichwertig neben Forscher stellen), oder sich über das intelligent Design lustig machen. Was sie nicht verstehen können oder wollen, es ist faktisch das Gleiche. Entweder ich entscheide mich, dass in einer spezialisierten Welt die Fähigkeiten von Spezialisten eben über jenen liegen die es nicht sind oder eben nicht. Müller macht genau das in seinen Analysen auch. Er fordert nicht die gleichwertige Darstellung der neoklassischen Ökonomie neben seine keysianistische. Dort schreibt er gegen den ökonomischen Mainstream an und ist implizit der Meinung dort würde Unsinn verbreitet.
D.h. je nach Lage wird das Weltbild diese Progressiven angepasst wie es gerade genehm ist. Mein Punkt ist, man kann und soll demonstrieren wenn es Gründe gibt. Wenn man eine neue Krankheit hat, welche eine hohe Ansteckungsrate aufweißt und dazu eine hohe Lethalität mit langen Behandlungszeiten, dann ist es sicher sinnvoll Maßnahmen durchzuführen. Genau auf diesen Minimalkonsens lassen sich die Nachdenkseiten schon nicht ein. Würden sie sich darauf einlassen, dann würden sie jeden der diesen Konsens hinterfragt nicht zu Wort kommen lassen.
Ausgehend von dieser Basis müssen die Maßnahmen evaluiert und auf Wirksamkeit geprüft werden. Hilfsmaßnahmen müssen bewertet werden und gerade die ärmsten Gruppen im Blick behalten werden. Da kann man jede Menge demonstrieren und diskutieren. Man sollte das auch tun. Aber solchen Unsinn: Bill Gates will die Weltherrschaft über Impfungen erreichen (KenFM)?! Es sterben nicht mehr Menschen oder es liegt an der Behandlung (Wodarg)?! Alle abweichenden Meinungen werden unterdrückt, dass ist eine Gefahr für die Meinungsfreiheit (Tobias Riegel; Hinweis: Meinungsfreiheit ist ein Schutzrecht gegen den Staat. Es verpflichtet keine Medien alle Meinungen zu verbreiten.)?!
Sorry, aber damit disqualifizieren sich die Nachdenkseiten. Ihre Leser danken es. Es gibt zwar Stimmen aus der Ärzteschaft, allerdings sind sie begrenzt. Warum? Man hat keine Lust gegen dieses geschwurbel (ja so muss man es nennen) anzuschreiben. Als Beleg warum die Welt so ist wie sie ist wird Müller auch gerne selbstreferenziell mit seinen Büchern. Er erkennt aber nicht, dass er genau die Methoden verwendet, um seine Ideen zu verbreiten. Ein offener Diskurs findet genau dann nicht statt, wenn jede andere Meinung kritisiert wird und Fakten gleichwertig nebeneinandergestellt werden, obwohl sie es sind.
Ich verstehe mittlerweile sehr gut wie man auf die Idee der Querfront und Verschwörungstheoretiker im Umfeld der Nachdenkseiten kommen kann.
Chris