Mittwoch, 24. Juni 2015

Woran erkennt man verwissenschaftlichte Spekulation

Der aktuelle Beitrag bei der INSM stellt ein Paradebeispiel dafür vor. Der Titel:Mindestlohn: Erste Anzeichen für Arbeitsplatzverluste
mit der Unterüberschrift
Seit dem 1. Januar 2015 gilt in Deutschland ein flächendeckender Mindestlohn von 8,50 Euro. Sind die befürchteten Arbeitsplätze?? eingetreten.

Diese These gilt es zu beweisen oder zumindest zu bearbeiten.  Die vermeintlich wissenschaftliche Darstellung soll die These Beweisen, selbst wenn es keine Beweise gibt. Die Verwissenschaftlichung von Spekulation erkennt man an solchen Aussagen

Insgesamt hat der Beschäftigungsaufbau zu Jahresbeginn also relativ plötzlich an Fahrt verloren. Hierfür sprach neben der Einführung des Mindestlohns sonst wenig. Die Zeichen am Arbeitsmarkt zu Jahresbeginn standen eher auf Beschleunigung. Die gesamtwirtschaftliche Aktivität expandierte im Schlussquartal 2014 ausgesprochen kräftig. Die gängigen Frühindikatoren für den Arbeitsmarkt hatten ebenfalls keine Abkühlung angezeigt. Die Zahl der offenen Stellen befindet sich auf hohem Niveau und ist bis zuletzt sogar weiter gestiegen.

Hier wird eine Meinung präsentiert. Es existiert ein Verweis auf eine Studie, welche in Grafiken die Arbeitsplatzentwicklung darstellt. Allerdings sind diese Grafiken auf die letzten 2 Jahre beschränkt. Schaut man bei der Grafikquelle (S. 5) nach, erkennt man recht deutlich, dass Schwankungen um den Jahreswechsel oder innerhalb des Jahres alles andere als ungewöhnlich sind.
Der Verweis auf Indikatoren gibt dem ganzen einen seriösen Anstrich. Es setzt voraus, dass diese Indikatoren sehr genau arbeiten. Die Verwissenschaftlichung erkennt man an den Aussagen "an Fahrt verloren" (keine Zahlenangaben wo es denn hingehen sollte), " standen  eher auf Beschleunigung" (standen sie nun oder nicht). Überhaupt die Beschreibung in Form von Bewegung ist Quatsch. Ein Arbeitsmarkt beschleunigt sich nicht. Obwohl alles schlecht klingt wird dennoch ein widersprüchliches Fazit gezogen

Die Zahl der offenen Stellen befindet sich auf hohem Niveau und ist bis zuletzt sogar weiter gestiegen

Der Verweis, dass der Mindestlohn scheinbar keine Rolle spielt wird nicht getätigt. Die Zahl der offenen Stellen ist sogar gestiegen und die Zahl der registrierten Arbeitslosen gesunken. Begründet wird dies
 
Die Tatsache, dass die Zahl der bei der Bundesagentur für Arbeit registrierten Arbeitslosen in den ersten Monaten dieses Jahres weiter gesunken ist, steht nicht im Widerspruch zu möglichen mindestlohnbedingten Arbeitsplatzverlusten.

oder mit

Niedrigverdiener sind in der Tat weitaus seltener armutsgefährdet als es der niedrige Stundenlohn nahelegt. Nur rund jeder fünfte Arbeitnehmer mit einem Stundenlohn von unter 8,50 Euro war hiervon betroffen.

Das klingt zwar schlüssig, hat mit dem Thema aber nichts zu tun. Es wird kein Bezug genommen, ob denn der Mindestlohn Arbeitsplätze kostet oder nicht. Genau das ist die Verwissenschaftlichung von Spekulation oder Meinung. Man erzählt Dinge die gar nicht die Frage waren. Natürlich arbeiten Rentner und Studenten auch auf Niedriglohnbasis. Was hat das mit den Arbeitsplätzen zu tun? Gibt es keine mehr für diese beiden Gruppen, oder gibt es welche? Sorgt das für ein massiven Einbruch der Einkommen in diesem Bereich oder nicht. Diese Fragen werden nicht beantwortet, weil man es nicht weiß. Stattdessen das Fazit des Textes

Letztlich ist dies einer der Hauptgründe, warum der Mindestlohn eines seiner Ziele nicht erreichen kann, nämlich die Einkommensungleichheit in Deutschland nennenswert zu verringern.

Das war gar nicht die Frage. Die Frage war, ob der Mindestlohn Arbeitsplätze kostet, wie der Titel suggeriert.

Fazit
Wissenschaftliches Schreiben zeichnet sich dadurch aus, klare Aussagen zu geben und diese zu belegen. Tut man das nicht, dann ist es Spekulation im wissenschaftlichen Gewand. Bei Lobbyorganisationen wie der INSM und anderen Think Tanks findet man solche Sachen immer wieder. Oft wird man über Umwege zum eigentlichen Ziel gebracht. Hier ist das Ziel, das der Mindestlohn ja gar nicht die niedrigen Einkommen erhöht. Das wurde weder untersucht, noch war es die Frage. Allerdings bleibt genau das hängen.

Chris

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