Jedes Jahr führt Tilo Jung ein Interview mit Richard David Precht durch. Ich halte Herr Precht für einen differenzierten Denker. Aber wenn er seine philosphische Expertise verlässt wird es in meinen Augen oft dünn. So meint er zu Recht die demographische Entwicklung sei eine große Herausforderung und führt dazu, dass das Umlagessystem nicht funktioniert und auch eine kapitalgedeckte Altersvorsorge wird nicht funktionieren. Er verweist auf Erfahrungen der Vergangenheit und das Mackenroth Theorem. Aber genau hier irrt Precht. Er setzt unsere Art der Rentenorganisation synonym mit dem Umlageverfahren. Mackenroth merkte nämlich an, dass jedes Rentensystem ein Umlagesystem ist. Seine Begründung ist, dass Dienstleistungen und Güter schwer gespart werden können. D.h. erwerbstätigen Personen müssen für den Rest der Gesellschaft Güter und Dienstleistungen erbringen. Die Frage ist also nur, ob die Produktivität ausreicht oder nicht. Laut Precht muss die Produktivität ausreichen, da er das Verschwinden der Arbeit herbeidenkt. Precht wie viele andere Denken in Geld. In diesem Fall scheint es einen Unterschied zu machen. Aber im Grunde müssen wir in Gütern denken, denn wir wollen Essen und Wohnen. D.h. die ganze demographische Frage ist eine Verteilungsfrage. Nicht mehr und nicht weniger. Es ist keine Frage der Machbarkeit an sich.
Damit kommen wir zu seiner Annahme, dass wir keine Arbeit mehr hätten. Ich halte diese Aussage für grundlegend falsch. Klar ist, dass sich einige Arbeit wegautomatisieren lässt. Im Bereich der Finanzbuchhaltung ist für mich nicht ersichtlich, warum man Excel und copy&paste nutzt, anstatt automatisierte Systeme. Aber in viele Bereichen wird eine Automatisierung nicht im Ansatz möglich sein. Der Grund ist relativ einfach. Es ist billiger einen Menschen zu beschäftigen, oder es ist gar nicht möglich. Viele soziale Berufe sind ein Beispiel, wo Roboter wahrscheinlich kaum eine Rolle spielen werden. Durch automatisierung wird es nicht möglich sein, dass eine Pflegekraft heute 2 morgen 4 und übermorgen 8 Personen betreut, bei gleicher Qualität. Auch im Industriebereich ist eine Vollautomatisierung mehr als fragwürdig. Speziallösungen und kleine Stückzahlen sind durch Menschen besser abzubilden. KI Methoden müssen scheitern. KI ist gut, wenn es klare Daten und jede Menge davon gibt. Nehmen wir den A380. Davon wurden keine 300 Flugzeuge gebaut. Die Entwicklung und Umsetzung einer automatisierten Fertigung kostet Zeit und Geld. Für diese Stückzahlen lohnt es sich nicht im Ansatz.
Die beiden Beispiele zeigen, dass Precht richtige Analysen triff, aber falsche Folgerungen. Er ließt wahrscheinlich die falschen Quellen. Ökonomen sagen vielleicht voraus, dass die Arbeit wegfällt. Das ist auch eine Profession, auf die das zutreffen wird. Aber wie Handwerker wegautomatisiert werden sollen ist mir nicht klar. Die Produktivität auf Baustellen ist seit Jahrzehnten konstant. Wenn ich digitalisiere, muss dennoch jemand das Kabel verlegen, den Träger schweißen, usw. Neue Bauwerke könnte man vielleicht optimieren, aber der Altbestand?
Arbeit wird uns also nicht ausgehen. Vor allem weil die Herausforderungen riesig sind. Wer soll denn die zehntausden Windräder, Solarzellen, Power to X Kraftwerke, Energietrassen, Häusdämmungen entwickeln, bauen und betreiben? Wer soll unsere Kinder endlich vernünftig ausbilden, Schienen verlegen, die Innenstädte umbauen (planen und realisieren), die Brücken sanieren, Schulen modernisieren, unsere Alten Pflegen? Und dann kommen die Klimafolgen. Wer soll denn die Schäden reparieren, die Flüchtenden aufnehmen und integrieren?
Die Liste ist endlos. Arbeit geht uns nicht aus. Sie ändert sich nur.
Fazit
Das Interview ist nicht schlecht. Precht wirft gute Punkte auf. Wie zum Beispiel will man eine Lohnobergrenze moralphilosophisch und liberal argumentieren? Einfacher seien Steuern. Das ist ein interessanter Punkt über den ich noch nicht nachgedacht habe. Auch das er nicht so schnell Partei bezieht, bei bestimmten Positionen und das gut begründet finde ich gut. Aber in diesen Fällen ist er im Kernbereich seiner Expertise. Bei vielen anderen hat er eine Meinung, die nicht fundiert ist.
Chris