Mittwoch, 14. Oktober 2015

Widersprüche in der eigenen Ideologie stören doch nicht

Allerdingswies keiner von ihnen auf diese Paradoxie hin. Und das ist typisch für den Umgang mit diesen Dingen. Nach wie vor dominieren neoliberale Rhetorik und Ideologie die allgemeine öffentliche Debatte; wenn sie aber unerwünschte Folgen zeitigen, wird unvermittelt das Berufsethos Hochqualifizierter oder das Ethos des öffentlichen Dienstes beschworen, die sonst bei jeder Gelegenheit als nicht hinreichend kommerziell verunglimpft werden.

Zitat aus Die bezifferte Welt: Wie die Logik der Finanzmärkte das Wissen bedroht von Colin Crouch

Genau das ist ein wesentlicher Punkt. Eben jene Professoren und Vertreter des neoliberalen Dogma fordern die Umsetzung von TTIP, von mehr Private Public Partnerships (PPP), von mehr Outsourcing von öffentlichen Leistungen. Wenn etwas schief geht, dann ist die Politik Schuld, obwohl die gleichen Professoren und Vertreter verlangen, dass sich die Politik bitter heraushalten soll. Irgendwelche absurde Kennwerte sind so lange gut und verdrängen so lange Moral und Ethik wie sie funktionieren. Wenn etwas schief geht, dann wird sich auf eben jene Moral und Ethik berufen. Das ist der Kern der neoliberalen Ideologie. Sie sorgt für Zwangsstrukturen (nennt sie Freiheit). Fügen sich die Menschen diesen Zwangsstrukturen und scheitern in diesen, dann sind nicht die freiheitlichen Zwangsstrukturen Schuld, sondern die Menschen die in diesen Strukturen arbeiten. Dabei sollen diese Zwangsstrukturen dafür sorgen, dass sich die Menschen eben nicht mehr an ihre moralischen Standards halten, sondern an ökonomische Kennzahlen. Das ist sehr abstrakt, darum ein Beispiel:

Die Kriterien für eine erfolgreiche Klinik sind Gewinne und Fallzahlen. Werden die Fallzahlen erhöht, das Personal haben (aufgrund der Gewinnforderung) nicht im adäquaten Maße, dann sinkt die Qualität der Versorgung. Personen warten lange auf den Gängen oder werden vergessen. Die schlechte Qualität sorgt sogar für steigende Fallzahlen, da die Menschen häufiger zu einer Nachuntersuchung kommen müssen (Nachblutungen, Komplikationen, etc.). Das ist alles bekannt und "state of the art". Um das Problem zu beheben wird an die Verantwortung des medizinischen Personals appelliert. Nicht etwa die Strukturen sind das Problem, sondern die Personen sind Schuld.

Das perfide an dem neoliberalen System ist zudem, dass ein objektiver Vergleich der Zielvorgaben nicht durchgeführt wird. Es wird eben nicht die Qualität der Arbeiten in einer Klinik verglichen, sondern nur die Kennzahlen. Man optimiert ein System auf absurde Kennzahlen und freut sich, dass diese Kennzahlen besser erfüllt werden als vorher. Man erhofft sich, dass sich der Rest irgendwie ergeben wird.

Chris

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